Voll normaaal

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Detlef P.
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Voll normaaal

Beitrag von Detlef P. »

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D, 1994
Regie: Ralf Huettner
Darsteller: Tom Gerhardt, Hilmi Sözer, Gruschenka Stevens, Uwe Fellensiek, Veronica Ferres, Renate Dissel, Eddy Steinblock

"Komiker Tom Gerhardt bringt seine populäre Kunstfigur, einen Kölner Proll mit Bommelmütze und Vorliebe für abmontierte Auspuffe, auf die Leinwand: Tommie hat alle Hände voll zu tun, mit seinem Kumpel Mario in so ziemlich jede Peinlichkeit und Zwickmühle zu geraten, die eine Woche in Köln-Kalk so bereitzuhalten scheint. Trotz der enthusiastischen Sichtung ausgewählter Horror-Videos ("boa", "voll geil", "ey"), erklecklichem Büchsenbierkonsum und Dauerärger mit Dackelzüchtern sowie einer lokalen Gang hartgesottener Schläger hat Tommie bald nur noch eins im Sinn: Denn Tommies bevorzugte Porno-Aktrice Gianna S. hat in der örtlichen Disco einen öffentlichen Auftritt angekündigt." (www.filmportal.de)

So, heute kommt der zweite Film der dieswöchigen deutschen Filmreihe.
Und um heute nach den Nazi-Filmen gleich das zweite Klischee deutscher Filme vorweg zu nehmen, gibt es am zweiten Tag natürlich eine stumpfe Kalauerkomödie, wie sie in Deutschland zu dutzenden produziert wurden.

"Voll normaaal" ist ein Film aus dem Jahr 1994 und reitet die Welle weiter, die bereits zu Beginn des Jahrzehnts mit "Manta, Manta" begonnen wurde und führt das Ganze sogar in noch höhere Höhen, bzw. in noch tiefere Tiefen.
Denn hier sind die Hauptcharaktere richtige Prolo-Asi-Vollidioten. Allerdings bin ich der Ansicht, dass dieser Film - auch wenn er definitiv einige Geschmacklosigkeiten bereit hält, die man hätte weglassen können - durchaus diese Verhaltensweise in ihrer extremen Weise überspitzt und ein Stück weit karikiert, anstatt dieses Verhalten als "cool" darzustellen.
Zudem treffen die Charaktere hier in ihrer Umwelt immer wieder auf die genauen Gegenpole, also auf normale Menschen oder gar auf die High Society, wodurch mehrere gesellschaftliche Tabubrüche entstehen, woraus der Film seinen Humor zieht. Denn Tommie und Mario verstoßen immer wieder gegen prinzipielle Normen und Werte, die sich in der Gesellschaft (besonders in den feineren Kreisen) etabliert haben.
Daher steht dieser Film tatsächlich auch im Kontrast zum (zurecht gescholtenen) zweiten Teil namens "Ballermann 6".
Da gibt es nämlich keine (oder kaum eine) gesellschaftliche Fallhöhe mehr, wodurch in keiner Weise Humor entstehen kann, sondern tatsächlich nur Asis unter Asis rumhängen und man dort eben nicht mehr - auch wenn es vielleicht so angedacht war - das Gefühl hat, dass dieses Verhalten ad absurdum geführt, sondern im Gegenteil gefeiert werden soll.

Und soll ich Euch was sagen, ich bin mit dieser Einschätzung zu "Voll normaaal" nicht allein.
Hellmuth Karasek schrieb tatsächlich 1994 in einer Kritik für den "Spiegel":
"Nun wäre das nicht mehr als ein Idiotenfilm für grölende Vorstadtkinos, würde Gerhardts Komik nicht mit ihrem Rückschritt ins Gnadenlose haarscharf das geistige Klima der Lebezonen außerhalb des Stadttheaters und der Feuilletons treffen und umreißen und in rücksichtsloser Zuspitzung vorführen. Mit welcher Genauigkeit der Film Wäsche, Unterwäsche, Autozubehör sowie Eß-, Trink- und Freizeitgewohnheiten seiner Vorstadt-Stenze, Pornofilm-Freaks, Zuhälter und Dackelvereinsmitglieder abbildet, liebevoll und gemein bis zum Geht-nicht-Mehr, das macht ihm so schnell keiner nach. Ralf Huettner, der schon mit seinem Harald-Juhnke-Film »Der Papagei« seine Liebe und Treue zum deutschen Detail bewies, hat die turbulente Klamotte mit geschmackssicherer Geschmacklosigkeit gedreht. In all dem Klamauk weiß er immer, wo's langgeht. Und er weiß auch, daß Komik die festumrissenen Grenzen des Normalen braucht, an denen sie sich reiben muß. [...] Komik ist Abfuhr der Aggression durch Destruktion.“
(Quelle: https://www.spiegel.de/kultur/heile-ald ... 0013685101)

Also, da haben wir's: HKA (Hellmuth Karasek approved :mrgreen: ).
Und der Film hat ja tatsächlich auch noch einige Fans, die ihm auch heute noch Kultstatus attestieren.
Das mag man mögen oder nicht, aber dieser Film hat ihn einfach.
Und auch ich muss sagen, dass ich den Film in meiner Jugend mehrfach gesehen habe und sogar als Erwachsener nochmal einen Blick riskiert habe.
Intelligent ist was anderes, aber ich muss sagen, dass es einige Sprüche und auch Szenen gibt, die sich mir wirklich ins Gedächtnis gebrannt haben und über die ich heute genauso lachen könnte wie damals.
Etwas, was danach wohl kaum eine andere deutsche Deppen-Komödie mehr geschafft hat.
Dieser Film war in diesem Bereich der Anfang und das Ende zugleich. Der Anfang vom Ende und das Ende vom Anfang.
Bevor wir hier jetzt aber bei so einem Film noch allzu philosophisch werden, schließe ich nun meine Filmvorstellung und kann zum Abschluss eigentlich nur noch eines sagen:
Boah, ey! :smoker:


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"Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein." (Daniel J. Boorstin)

Wenn "2010" die Fortsetzung zu "2001" sein soll, dann ist "Sieben" das Prequel zu "8½". (Ich)

Las-Vegas-Ambiente :fuckU: (Insider)
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