Detlefs "Das schönste Paar"

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Moderator: Damien3

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Detlef P.
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Registriert: Mo 11. Okt 2004, 10:37
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Detlefs "Das schönste Paar"

Beitrag von Detlef P. »

Oh mein Gott!!!
Es gab Momente bei diesem Film, in denen ich am liebsten gekotzt hätte und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihn nie wiedersehen will... .

Falls ihr jetzt denkt, dass ich diesen Film schlecht fand, kann ich nur sagen: "Nein, ganz im Gegenteil!".
Der Film ist absolut hervorragend, aber so intensiv, dass man es in manchen Momenten kaum aushält.
Besonders in den ersten 10 Minuten wird einem als Zuschauer absolut alles abverlangt.

Ein Paar ist im Urlaub und wird abends in seinem Bungalow von drei Jugendlichen überfallen.
Allerdings will der Anführer nicht nur das Geld und die Handys, sondern er vergewaltigt die Frau vor den Augen ihres Mannes, der von den anderen beiden Jungs festgehalten wird und hilflos dabei zusehen muss.
Und Du bist als Zuschauer voll dabei und es wird nichts ausgespart. Und das meine ich jetzt gar nicht im reißerischen Sinne. Es sind keine übertrieben-explorativen Details zu sehen. Es ist alles sehr nüchtern, aber es wird dafür auch alles in seiner schmerzlichsten Intensität gezeigt.
Es gibt hier keine inszenatorische Überhöhung bei der ein Irrer mit bekloppt aussehender Maske "Singin' in the Rain" singt und Du Dir klar machen kannst, dass dies alles "nur ein Film" ist.
Dafür ist alles viel zu intensiv.

Zeitsprung, drei Jahre später.
Das Paar hat das Trauma gemeinsam, so gut es möglich war, überwinden können. Sie sind sogar verheiratet. Also quasi "gestärkt" aus dieser Erfahrung hervorgegangen.
Die Frau hat eine Therapie hinter sich und ist jetzt in der Lage mit dem Erlebten umzugehen.
Sie führen ein normales Leben.

Dann eines Abends sieht der Mann den Vergewaltiger seiner Frau zufällig in einem Imbiss. Ganz unverhofft, einfach so! Und er hat eine Freundin!! Dieser Kerl hat eine Freundin!!!
Er ist fassungslos und folgt dem Vergewaltiger nach Hause. Er konfrontiert diesen sogar, ohne es seiner Frau zu erzählen.
Er will Gerechtigkeit! Mehr noch... er will Rache!!!
Als seine Frau ihn zur Rede stellt, weil er mit ganz komischen Ausreden kommt und sich auch merkwürdig verhält, erzählt er ihr von der Begegnung.
Sie allerdings reagiert ganz anders, als er erwartet hatte. Denn sie will die Sache auf sich beruhen lassen, da sie das Ganze durch die Therapie hinter sich gebracht hat und damit abschließen will. Er jedoch KANN damit nicht einfach so abschließen...

Diesen Film habe ich bereits vor mehreren Wochen oder gar Monaten gesehen. Und er lässt mich einfach nicht los.
Immer wieder muss ich zwischenzeitlich an ihn denken.
Es ist ein "Wie würdest du selbst reagieren"-Szenario.
Aber, ich muss Euch sagen, dass ich beide Perspektiven sehr gut verstehen kann.
Denn er hat aus seiner Sicht "versagt" seine Frau zu beschützen. Das wäre doch als "Mann" seine Aufgabe gewesen. Und dafür will er Wiedergutmachung, Satisfaktion.
Sie hingegen hat all das Trauma gerade endlich verarbeiten können, da kommt dieser böse Geist aus der Vergangenheit und REIßT alle gerade verheilten Wunden völlig neu auf und zieht sie in den Abgrund zurück.

Die Schauspieler sind unfassbar(!) gut und Du gehst bei jeder kleinen Nuance völlig mit. Sie lassen das intensive Erlebnis erst Wirklichkeit werden.
Die Inszenierung ist so spröde und echt, dass Du das Gefühl hast echten Menschen in der echten Welt zuzusehen. Es hat absolut nichts künstliches oder überhöhtes.
Und wisst Ihr was? Es handelt sich hierbei tatsächlich um einen deutschen(!) Film.
Wow, schön zu sehen, dass es doch immer noch mehr gibt als zwillingsgleiche Krimireihen und dumme Kalauerkomödien.
So eine herausragende Arbeit zu sehen, hat mich wieder bestärkt an das deutsche Kino zu glauben, das in den letzten Jahren - meiner Ansicht nach - etwas gelitten hat.
Komischerweise hat der Film bei IMDb im Moment nur eine 6,9, was eigentlich viel zu wenig ist. Der müsste locker 0,5 Punkte mehr haben.

Allerdings, so großartig ich den Film auch finde, kann ich wohl behaupten, dass das einer der emotional härtesten Filme gewesen ist, die ich je in meinem Leben gesehen habe.
Und wie Ihr wisst habe ich viel gesehen.
Aber dieses Erlebnis hat mich so intensiv getroffen, wie wenige andere Filme in meinem Leben. Er hat mich wirklich ein Stück weit fertig gemacht.
Es ist aber eine Erfahrung, die ich in keinem Fall missen möchte.
Nur ein zweites Mal erleben, möchte ich sie wirklich nicht unbedingt.


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