Elaha

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Detlef P.
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Elaha

Beitrag von Detlef P. »

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D, 2023
Regie: Milena Aboyan
Darsteller: Bayan Layla, Derya Durmaz, Hadnet Tesfai, Nazmi Kirik, Derya Dilber, Slavko Popadic, Armin Wahedi, Cansu Leyan

"Elaha (Bayan Layla) ist 22 Jahre alt und bereits verlobt. Die Deutsch-Kurdin arbeitet in einer Reinigung für Kleider und wird Nasim (Armin Wahedi), den Bruder ihrer Arbeitgeberin heiraten. Als die Hochzeit immer näher rückt kommt Elaha bei einer Party mit ihren Freundinnen ins Gespräch darüber, was die Erwartungen an junge Frauen in ihrer Community sind. So wird etwa davon ausgegangen, dass sie bis zur Ehe Jungfrauen sind, weshalb einige Schwiegereltern sogar einen ärztlichen Nachweis verlangen. Elaha hatte jedoch schon Sex und sieht sich mit einem Problem konfrontiert. Eine chirurgische Rekonstruktion ihres Hymens wäre zu teuer, weshalb kleine Kapseln mit Kunstblut Abhilfe schaffen könnten. Je mehr die junge Frau sich mit diesem Thema beschäftigt, desto mehr fängt sie an die Bräuche und Anforderungen in Frage zu stellen." (www.kino.de)

So, hier haben wir mal etwas ganz besonderes - und das sogar in mehrerer Hinsicht.
Besonders ist, dass dieser Film noch gar keinen offiziellen Kinostart hatte und ich ihn trotzdem schon reviewen kann.
Das liegt daran, dass ich gestern Abend an einer Preview des Films teilgenommen habe.
Es war aber nicht ganz so exklusiv, wie es vielleicht klingen mag. Es war niemand von Cast oder Crew anwesend und abgesehen von mir waren noch zwei weitere Leute in der Vorstellung. Das war's!

Trotzdem freut es mich natürlich, an der Preview teilgenommen zu haben, da ich nämlich nicht nur selbige, sondern auch den Film als etwas besonderes erachte.
Die Thematik klingt natürlich in erster Linie erstmal etwas sperrig für viele Menschen und vielleicht nicht nach etwas, was man sich unter einem schönen Kinoabend vorstellt.
Dass es sich hierbei nicht und einen Unterhaltungsfilm oder gar ein Feel-Good-Movie handelt, sollte hoffentlich klar sein. Und selbstverständlich sollte man in irgendeiner Weise Interesse an diesem Thema zeigen.
Aber wenn das vorhanden ist, dann ist dieses Kinoerlebnis wirklich hervorragend.

Zuerst fand ich es grandios, wie unglaublich dreidimensional die Charaktere dargestellt wurden. Selbst Nebenfiguren wurde hier genug Raum gegeben, um sich wirklich gut entfalten zu können.
Das führt dazu, dass man in gewisser Weise Verständnis für alle verschiedenen Sichtweisen und Handlungen bekommt. Und mit Verständnis ist nicht gemeint, dass man diesen uneingeschränkt zustimmen möchte. Aber sie sind aus der Situation heraus nachvollziehbar.

Die Thematik an sich wird mit sehr viel Feingefühl und zugleich mit einer uneingeschränkten Schonungslosigkeit und in harter Konsequenz erzählt, dass man wirklich nur staunen kann, wie ausbalanciert die Stimmungen und das Timing hier sind.
Es gibt unfassbar intensive Momente, in denen man emotional so sehr mitfühlt, weil man einfach gepackt wird von dem, was sich dort vor einem auf der Leinwand abspielt.

Dass man so mit der Titelfigur Elaha mitfühlen kann, liegt hier nicht nur daran, wie gut und komplex sie geschrieben wurde, sondern auch ganz besonders an einer regelrechten Powerhouse-Performance von Bayan Layla. Ich weiß nicht, wo diese Frau ganz plötzlich herkommt, aber ich glaube und hoffe inständig, dass sie nach diesem Film eine große Karriere vor sich haben wird. Was ich hier gesehen habe, war wirklich der Wahnsinn und sie schafft es nahezu problemlos, den Film in seiner kompletten Laufzeit als Hauptdarstellerin zu tragen.
Dabei möchte ich die Arbeit aller anderen Darstellerinnen und Darsteller in keiner Weise schmälern. Auch hier sind wirklich gute und sehr gute Leistungen zu bewundern, durch die die Figuren alle erst so echt wirken. Aber ich finde es einfach nochmal etwas beeindruckender, wenn man in so jungen Jahren einen Film als Hauptdarstellerin eine so vielschichtige Rolle mit Bravour absolviert.

Abschließend möchte ich noch auf die Inszenierung zu sprechen kommen.
Wie ich damals schon bei "Systemsprenger" sagte, finde ich es toll, dass so langsam bei deutschen Filmen endlich auch mal der Ton und die Filmmusik stärker zur Geltung kommen und besser als bisher mit Perspektive und Schnitt gearbeitet werden.
Das ist mir in den letzten Jahren immer stärker aufgefallen.
Hier war es ähnlich, denn während gerade zu Beginn die Perspektiven und die Filmmusik noch thematisch passend sehr formal und steif erscheinen, endet der Film in einer sphärischen, fast meditativen Stimmung, die grandios durch die Kameraarbeit und die Musik illustriert werden.

Und um an dieser Stelle nochmal die Brücke zu dem bereits erwähnten "Systemsprenger" zu schlagen, war auch "Elaha" eine Abschlussarbeit für die Filmhochschule.
Daran musste ich gestern die ganze Zeit denken, da dieser Umstand den Film eigentlich noch bewundernswerter macht, als er eigentlich ist und ich muss der Regisseurin Milena Aboyan einfach ein großes Lob für diese Leistung aussprechen.
Es würde mich in der Tat nicht wundern, wenn "Elaha" im kommenden Jahr bei den Lolas genauso abräumen würde, wie "Systemsprenger" zu seiner Zeit.
Wünschen würde ich es ihm!

Insgesamt muss ich mich tatsächlich zu der Aussage hinreißen lassen, dass ich hier wohl einen der allerbesten und intensivsten Filme des Kinojahres gesehen habe.
Die größte Überraschung des Jahres war er definitiv!


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