Ingmar Bergman

Die größten Meister, die größten Nieten, ihre Filme, ihre Leben.

Moderator: Detlef P.

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Detlef P.
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Ingmar Bergman

Beitrag von Detlef P. »

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""Alles kann geschehen, alles ist möglich und wahrscheinlich. Die Gesetze von Raum und Zeit sind aufgehoben; die Wirklichkeit steuert nur eine geringfügige Grundlage bei, auf der die Phantasie weiter schafft und neue Muster webt, ein Gemisch von Erinnerungen, Erlebnissen, freien Erfindungen, Ungereimtheiten und Improvisationen".

Es ist das Vorwort zum "Traumspiel" von Strindberg und es spielt in Ingmar Bergmans letztem Spielfilm "Fanny und Alexander" von 1981/82 eine Schlüsselrolle, denn der kleine Alexander, dem Helena diese Zeilen vorliest, ist niemand anders als der kleine Ingmar, der später viele "Traumspiele" inszeniert hat - unter anderem diesen meisterhaften Film. Es sollte - wieder einmal - sein letzter sein, doch zwei Dokumentarfilme und ein auf Video gedrehtes Fernsehspiel "Die Gesegneten" (1985), eine Romanverfilmung nach Ulla Isaksson mit Harriet Andersson und Christina Schollin, sind inzwischen noch entstanden.

Ingmar Bergman, geboren als Sohn eines evangelisch-lutherischen Pfarrers am 14. Juli 1918 in Uppsala, wächst in einer Atmosphäre strengster Religiosität auf. Das Theater interessiert ihn schon früh, er inszeniert beim Studenten-Theater, später bei einer experimentellen Amateurbühne und schließlich geht er als 26-jähriger an die Städtischen Bühnen. Damals entstehen auch schon die ersten Drehbücher, er ist Regieassistent bei Alf Sjöberg und ein Jahr später selbst Regisseur: "Kris" (1945), "Es regnet auf unsere Liebe" (1946) und "Ein Schiff nach Indialand" (1947) heißen die ersten drei Arbeiten, Versuche - wie Bergman es selbst nennt. Die Themen entsprechen seinem Interessenbereich: Jugendliche im Konflikt mit der etablierten Welt der Erwachsenen. Meist sind es deprimierende Studien, hart realistisch, regnerisch-zugige Stimmungen, nur ganz hauchdünne Hoffnung.

Später wendet sich Bergman der Hoffnung und Hoffnungslosigkeit der Erwachsenen zu, mischt kunstvoll Studien des Alltags mit Szenen von überhöhter Lebensphilosophie, wobei stets ein tiefer Pessimismus als Grundstimmung bleibt, wenn diese auch gelegentlich durch Hoffnungsschimmer konterkariert wird. Typische Beispiele solcher Düsternis sind die Trilogie "Wie in einem Spiegel", "Licht im Winter" und "Das Schweigen" und der ein paar Jahre später nach einem langen Sanatoriumsaufenthalt entstehende Ausdruck absoluter Leere "Persona".

In seiner sehr beeindruckenden Monographie geht Hauke Lange-Fuchs sehr behutsam auf die Frage ein, wie sehr sich die Lebenserfahrungen und Kindheitstraumata in Bergmans Werke spiegeln und wie offen, verschlüsselt oder gar widersprüchlich sich Spuren des Gelebten in der Kunst wiederfinden, und dabei kommt der Autor zu dem Schluß: "Viele Zeugnisse aus seiner Heimat legen die Annahme nahe, daß Bergman die Fakten manipuliert, wie er es jeweils braucht. Oder empfindet". Das ist nicht der Vorwurf eines Falschmünzertums, sondern der Hinweis darauf, daß Bergman, wie jeder vielinterpretierte Künstler, sich um eine Mimikry bemüht.

Bei uns ist Bergman nur mittelbar über die Franzosen um die "Cahiers du Cinema" entdeckt worden. Jean-Luc Godard nennt ihn den "originellsten Autor des europäischen Films", Eric Rohmer bezeichnet "Das siebente Siegel" als Ingmar Bergmans "Faust": Die Kritiker und Regisseure der "Nouvelle Vague" haben in ihm wie bei viele Klassiker des internationalen Films die Größe erkannt. In Cannes war er 1956 für "Das Lächeln einer Sommernacht" mit dem Großen Preis ausgezeichnet worden. In unserer maroden Kinolandschaft konnten erst "Skandale" wie die Vergewaltigungsszene in der "Jungfrauenquelle" (1959) und Sex-"Stellen" im "Schweigen" (1962) Kinoerfolge provozieren.

Ernsthaftes Interesse auf breiter Basis findet schließlich Bergmans Fernseharbeit "Szenen einer Ehe". Die sechsteilige Fernsehserie wird in einer Kurzfassung zum Kinoerfolg in ganz Europa. Jetzt erkennt man auch bei uns Bergman als Erzähler realer Geschichten, in denen sich ein breites Publikum wiederfindet. Bald danach kommt die Presse wieder mit einem Skandal auf ihre Kosten: Bergman wird bei einer Theaterprobe verhaftet und wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Er zieht sich in eine psychatrische Klinik zurück und wandert in die Bundesrepublik aus. Der hier entstandene Film "Das Schlangenei" ist kaum vom bundesdeutschen Kinomief angesteckt.

1976 geschieht bei uns erstmals etwas mit Bergman, das einem Skandal fernliegt: Die Stadt Frankfurt zeichnet ihn mit dem Goethe-Preis aus. Ein Preis, der deutlich macht wie stark und wie direkt sich Bergmans Arbeit auf das moderne intellektuelle Kino ausgewirkt hat. Oft wird bei uns, wenn man von Woody Allens Kino spricht auf Ingmar Bergman verwiesen und Allen selbst hat den großen Schweden immer als eines seiner Vorbilder bezeichnet. Selten aber hat man Gelegenheit, diese Bewunderung und die Einflüsse des frühen Bergman so verblüffend nahe nachzuvollziehen wie bei einem Film wie "Sehnsucht der Frauen" von 1952.

Denkt man an "Hannah und ihre Schwestern" oder an "September" so wird man im frühen Bergman nicht nur Spuren wiedererkennen, sondern auch Woody Allens Meisterschaft bewundern können, wie er sein Vorbild in die moderne amerikanische Gesellschaft überführt. Ingmar Bergman - inzwischen über 80 Jahre alt-, ist einer der bedeutendsten Filmkünstler unserer Zeit, der von Kollegen wie Luis Buñuel und Akira Kurosawa bewundert wurde." (www.prisma-online.de)

Filmographie:

Es regnet auf unsere Liebe (1946)
Schiff nach Indialand (1947)
Musik im Dunkeln (1948)
Die Hafenstadt (1948)
Gefängnis (1949)
Durst (1949)
An die Freude (1950)
Menschenjagd (1950)
Einen Sommer lang (1951)
Die Sehnsucht der Frauen (1952)
Die Zeit mit Monika (1953)
Abend der Gaukler (1953)
Lektion in Liebe (1954)
Frauenträume (1955)
Das Lächeln einer Sommernacht (1955)
Das siebente Siegel (1957)
Wilde Erdbeeren (1957)
Nahe dem Leben (1958)
Das Gesicht (1958)
Die Jungfrauenquelle (1960)
Das Teufelsauge (1960)
Wie in einem Spiegel (1961)
Licht im Winter (1963)
Das Schweigen (1963)
Ach diese Frauen (1964)
Persona (1966)
Die Stunde des Wolfes (1968)
Schande (1968)
Passion (1969)
Berührungen (1971)
Schreie und Flüstern (1972)
Szenen einer Ehe (1973)
Von Angesicht zu Angesicht (1976)
Das Schlangenei (1977)
Herbstsonate (1978)
Aus dem Leben der Marionetten (1980)
Fanny und Alexander (1982)


Ich kenne leider nur 3 1/2 Filme dieses Mannes.
Allerdings haben diese (Vor allem "Wilde Erdbeeren" mich stark beeindruckt).


"Willst Du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten." (chin. Sprichwort)

"Die Seele ist das Schiff, Vernunft das Steuer und Wahrheit der Hafen." (türk. Weisheit)

"Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein." (Daniel J. Boorstin)

Wenn "2010" die Fortsetzung zu "2001" sein soll, dann ist "Sieben" das Prequel zu "8½". (Ich)

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Voland
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Beitrag von Voland »

Endlich kommt auch mal etwas zu einem der grandiosesten Dramen-Regisseure aller Zeiten. Bergman ist eine lebende Legende, wenn man das so ausdrücken will.

Aber sag mir, wie kommt es, dass man nur 3 1/2 Filme von ihm kennt? Sag bloß Du bist eingeschlafen? Schämen solltest Du Dich.

"Wilde Erdbeeren" ist wirklich einer seiner besten Filme. Gefällt mir persönlich - mit "Die Stunde des Wolfs" - am besten überhaupt. "Die Stunde des Wolfs" ist praktisch eine Ausreizung des Filmstils aus den Träumen des Professors. Genial!

"Persona" und "Fanny und Alexander" sind ohnehin Klassiker, die man gar nicht extra bewerten muss.

Ansonsten gibt es da noch massenhaft zu entdecken. Auch die kleinen Filme (z.B. Abend der Gaukler) haben es in sich. :-)


Wieso endet die Filmographie mit "Fanny und Alexander"?


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Detlef P.
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Beitrag von Detlef P. »

Weil er danach nur noch Fernsehfilme gemacht hat.
Wenn du willst kannst du die auch noch reinstellen.

Das ich bei "Das Schweigen" eingepennt bin weist du doch.


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Beitrag von Voland »

Oh, stimmt. Bin schon etwas vergesslich im Kopf ;-)


Und Fernsehfilme sind nicht minder wichtig wie Kinofilme. Fassbinder zum Beispiel hat genug wichtige Filme fürs Fernsehen produziert.


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Beitrag von Voland »

Es wird mal wieder Zeit für einen Bergman. Am liebsten würde ich ja "Szenen einer Ehe" sehen - doch der ist mir derzeit zu lange. Ich brauche eher kurze Filme für den Tagesausklang. Vielleicht kram ich mal einen seiner alten hervor. Hat vielleicht jemand eine Empfehlung parat? "Die Jungfrauenquelle" würde mich ja interessieren. Na vielleicht guck ich die auch.

Zum Regisseur selbst will ich hier (nochmals?) seine Autobiographie empfehlen. Es gibt kein besseres Werk zu einer Person als eine Autobiographie, um den Charakter darzustellen. Niemand vermag sich einige 100 Seiten lang zu verstellen. Und gerade die Lebensgeschichte von Ingmar Bergman ist sehr interessant.


Ich bin für geistige Zensur. Filme werden moralisch und politisch begutachtet, aber die Dummheit darf passieren.
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Detlef P.
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Beitrag von Detlef P. »

Ich kann mir nur vorstellen, dass der Arme eine ganze Menge Mist mitmachen musste, sonst hätte er solche Filme nicht gemacht.
Und "Fanny und Alexander" war ja auch ein bisschen autobiographisch.

Ich wollte mir demnächst mal seine Sommer-Film ansehen, an andere komme ich derzeit eh nicht dran.


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