Das Lehrerzimmer

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Detlef P.
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Das Lehrerzimmer

Beitrag von Detlef P. »

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D, 2023
Regie: Ilker Çatak
Darsteller: Leonie Benesch, Leonard Stettnisch, Eva Löbau, Michael Klammer, Anne-Kathrin Gummich, Kathrin Wehlisch, Sarah Bauerett, Rafael Stachowiak

"Die junge Carla Nowak unterrichtet die Fächer Mathematik und Sport in einer siebten Klasse an einem Gymnasium. Die neue Lehrerin fällt im Kollegium vor allem durch ihren Idealismus auf. Die Stimmung an der Schule wird von einer unaufgeklärten Diebstahlserie getrübt. Eines Tages wird Carla selbst Zeugin, wie mehrere Schüler ihrer Klasse unter Verdacht geraten. Unter unwürdigen Umständen werden die Jungen im Klassenzimmer von Carlas Kollegen vorgeführt und deren Portemonnaies gefilzt. Aufgrund einer größeren mitgeführten Bargeldsumme muss sich der türkischstämmige Schüler Ali im Sinne der an der Schule geltenden Null-Toleranz-Politik mit seinen Eltern dem Gespräch mit der strengen Schuldirektorin Dr. Bettina Böhm stellen. Der anfängliche Verdacht erhärtet sich jedoch nicht.

Nach diesen Geschehnissen, die Carla als ungerecht empfindet, versucht sie mit Hilfe ihrer Laptop-Kamera der Sache persönlich nachzugehen. Als sie das Video aus dem Lehrerzimmer auswertet, entpuppt sich die langjährige und unscheinbare Schulsekretärin Friederike Kuhn als vermutliche Täterin – ihre auffällige Bluse ist deutlich auf den Aufnahmen zu identifizieren. Die Aufdeckung der Tat versetzt Carla in ein unlösbares Dilemma – Frau Kuhn ist die Mutter des schüchternen Oskar, ihres in Mathematik begabtesten Schülers. Auch leugnet sie vehement die Tat, die auf dem Video nicht genau zu erkennen ist. Dennoch wird Frau Kuhn für die weitere Untersuchung beurlaubt.

In der Folge droht Carla aufgerieben von ihren Idealen und dem System Schule sowie den Konsequenzen ihres Handelns zu zerbrechen. Während eines Elternabends, der sich zu einem Verhör Carlas entwickelt, erleidet sie einen Nervenzusammenbruch. In Teilen des Lehrerkollegiums sowie unter ihren Schülern und deren Eltern gerät sie zunehmend in Isolation. Gleichzeitig hat sie die psychische Belastung für Oskar zu verantworten, der von einigen Mitschülern nun als Sohn einer „Verbrecher-Mutter“ wahrgenommen und gemobbt wird." (www.wikipedia.de)

Vor einer Woche habe ich den großen Gewinner der diesjährigen Lola-Verleihung im Kino gesehen.
Begleitet hat mich meine beste Freundin, die Lehrerin an der Schule ist, an der auch ich früher gearbeitet habe.
Wir sind also gut in der Schul-Thematik bewandert.

Und wir fanden den Film beide insgesamt gut, hatten aber auch ein paar Sachen zu bemängeln.
Zum einen treffen innerhalb der Handlung doch relativ viele Zufälle und auch ein paar Unstimmigkeiten aufeinander.
Zum Beispiel, dass die Sekretärin, die von Carla verdächtigt wird, gleichzeitig einen Sohn in deren Klasse hat - ziemlich großer Zufall!
Oder auch, dass die Schülerzeitung (die später im Film noch relevant wird) keine Lehrperson dabei hat, die das Ganze anleitet und überwacht.
Sowas passiert normalerweise nicht!

Zum anderen fanden wir das Ende etwas zu abgebrochen.
Tatsächlich habe ich vor einigen Monaten "Es gilt das gesprochene Wort" - ebenfalls von Ilker Çatak - gesehen.
Da fand ich das Ende richtig blöd, sodass das hier sogar schon eine Verbesserung war.
Aber damit scheint es bei ihm wohl häufiger Probleme zu geben... .

Kommen wir aber nun zu den positiven Seiten, die definitiv überwiegen.
Die Story ist wahnsinnig gut und dicht erzählt und die Atmosphäre ist die ganze Zeit über unterschwellig unheimlich bedrohlich. Fast wie bei einem Thriller!
Das fand ich wahnsinnig beeindruckend und wurde hauptsächlich durch die gute Kamera und vor allem durch die grandiose Filmmusik geschafft.

Außerdem ist der Film schauspielerisch echt gut besetzt. Ganz besonders Leonie Benesch sticht hier wirklich heraus, was mich sehr gefreut hat, da ich ihre Rolle in "Babylon Berlin" - trotz ihrer Wichtigkeit - eigentlich immer sehr passiv und eher etwas uninteressant fand.
Hier kann sie jetzt aber zeigen, was in ihr steckt und sie konnte dann ja auch - vollkommen zurecht - eine Lola als beste Darstellerin einheimsen.
Außerdem möchte ich unbedingt noch den jungen Leonard Stettnisch hervorheben, der hier den Oskar spielt.
Ebenfalls eine großartige Leistung die perfekt zwischen Verzweiflung, Enttäuschung und Wut hin- und herpendelt.
Es würde mich nicht wundern, wenn wir in Zukunft noch einiges von ihm hören werden.

Die Thematiken sind natürlich auch absolut relevant und wichtig. Gerade in der heutigen Zeit!
Es werden Vorverurteilungen so haarscharf thematisiert, dass es fast schon wehtut.
Außerdem fließen Machtstrukturen im Allgemeinen und auch latenter Rassismus mit in die Geschichte ein, sodass auf jeden Fall genug Stoff zum Nachdenken da ist.

Bezüglich der vielen Preise, die der Film bei den Lolas gewonnen hat, kann ich nur sagen, dass er sie in jedem anderen Jahr definitiv zu 100% verdient hätte.
Aber in einem Jahr, in dem "Im Westen nichts Neues" ebenfalls am Start war, muss ich einige Preise doch in Frage stellen.
Ganz besonders den Preis für den besten Film und eigentlich auch das beste Drehbuch.
Und auch bei Regie und Schnitt bin ich mir nicht ganz sicher, ob die nicht eher unserem Anti-Kriegsfilm gehört hätten.
Vermutlich ist das aber mal wieder mit dem typischen, deutschen Verhalten zu erklären, welches auch in dieser Diskussion bereits angesprochen wurde.
Bei den deutschen Kritikern kam "Im Westen nichts Neues" ja auch nicht einhellig gut an - im Gegensatz zum Ausland!

Aber das gehört eigentlich gar nicht hierher, weswegen ich abschließend nochmal betonen möchte, dass "Das Lehrerzimmer" - trotz einzelner, storytechnischer Patzer - ein wirklich hervorragend gemachter und gespielter Film von enormer Relevanz ist, der es absolut wert ist, angesehen zu werden.


"Willst Du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten." (chin. Sprichwort)

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Wenn "2010" die Fortsetzung zu "2001" sein soll, dann ist "Sieben" das Prequel zu "8½". (Ich)

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Re: Das Lehrerzimmer

Beitrag von Damien3 »

Muss gestehen das ich noch gar nichts darüber hörte?
Der ist vollständig an mir vorbei....
Wo ich doch wirklich viel für den deutschen Film poste oder reviewe.

Das muss ich definitv nachholen!


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Detlef P.
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Re: Das Lehrerzimmer

Beitrag von Detlef P. »

Damien3 hat geschrieben: Mi 21. Jun 2023, 15:54 Wo ich doch wirklich viel für den deutschen Film poste oder reviewe.
Zumindest mittlerweile!
Aber über die Lolas scheinst Du ja trotzdem nach wie vor nicht informiert zu sein :mrgreen:

Ja, sieh Dir den mal an.
Der lohnt sich, trotz der Schwächen, wirklich.


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