All eure Gesichter

Je verrai toujours vos visages

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Detlef P.
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All eure Gesichter

Beitrag von Detlef P. »

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F, 2023
Regie: Jeanne Herry
Darsteller: Adèle Exarchopoulos, Élodie Bouchez, Gilles Lellouche, Dali Benssalah, Leïla Bekhti, Miou-Miou, Birane Ba, Fred Testot, Suliane Brahim, Jean-Pierre Darroussin, Denis Podalydès

"Seit 2014 bietet die Restaurative Justiz in Frankreich Opfern und Tätern die Möglichkeit, in sicheren Einrichtungen unter der Aufsicht von Fachleuten und Freiwilligen wie Judith (Élodie Bouchez), Fanny (Suliane Brahim) oder Michel (Jean-Pierre Darroussin) miteinander zu sprechen. Nassim (Dali Benssalah), Issa (Birane Ba) und Thomas (Fred Testot), die wegen Gewaltdelikten verurteilt wurden, Grégoire (Gilles Lellouche), Nawelle (Leïla Bekhti) und Sabine (Miou-Miou), Opfer von Homejacking, Raubüberfällen und Entreißdiebstählen, aber auch Chloé (Adèle Exarchopoulos), Opfer von Inzestvergewaltigungen, nehmen alle an Maßnahmen der sogenannten Restorative Justice teil. Auf ihrem Weg gibt es Wut und Hoffnung, Schweigen und Worte, Bündnisse und Zerwürfnisse, Einsichten und wiedergefundenes Vertrauen. Und am Ende des Weges steht manchmal die Wiedergutmachung." (www.filmstarts.de)

Soeben war ich das letzte Mal für dieses Jahr im Kino.
Und, was soll ich sagen?! Das Beste kommt in diesem Jahr wirklich mal zum Schluss.
Meine lieben Freunde, darf ich vorstellen: Mein Film des Jahres!!!

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll... .
Fangen wir mal beim Konzept des Films an.
Er wirkt zwar relativ einfach erzählt, da die Szenen, in denen quasi nur geredet wird, durch die Natur der Sache eine sehr theatralische Inszenierung haben, aber man merkt bei genauem Hinsehen, dass hier auf jedes kleine Detail geachtet wurde und jede Nahaufnahme, jede Totale und jeder Reaction Shot exakt komponiert wurde.

Bei so eine Art Film kommt es natürlich auch immer sehr auf die Schauspielerinnen und Schauspieler an und wie diese es schaffen, ihre Figuren zum Leben zu erwecken.
Und das schaffen sie hier ganz deutlich, ohne Rücksicht auf Verluste.
Besonders Adèle Exarchopoulos als Opfer inzesttuösen Missbrauchs ist unfassbar stark in ihrer Leistung und es gibt eine Szene, in der sie komplett die Fassung verliert, die ich niemals vergessen werde, obwohl es eigentlich nur ein paar Sekunden sind.
Aber was sie da geleistet hat, war nicht von dieser Welt.
Auch die anderen Darstellerinnen und Darsteller, egal ob sie Täter, Opfer oder Betreuer spielen, sind unglaublich authentisch und derart auf den Punkt, dass man bei allen einfach nur umgehauen wird.

Damit wären wir dann eigentlich beim Herzstück des Film angekommen, bei den Charakteren.
Diese sind so facettenreich und dreidimensional gestaltet, dass man bei jedem eine Figur aus Fleisch und Blut wahrnimmt und nie darüber nachdenkt, dass die ja alle nur für den Film kreiert wurden, obwohl das Programm, um das es geht, ja tatsächlich echt ist.
Hier besteht dann natürlich immer die Gefahr, dass gerade die Täter als zu bemitleidenswert dargestellt werden, da ja auch diese vermenschlicht werden sollen.
Aber genau das ist hier meines Erachtens nicht der Fall.
Sicher werden auch ihre Hintergründe und ihre Beweggründe beleuchtet, aber es wird zu keiner Sekunde vergessen, was sie ihren Opfern angetan haben und ihre Taten werden auch nicht relativiert.
Wie die Opfer und die Täter sich trotzdem nach und nach näher kommen (was anscheinend in der Realität zum Teil wirklich so stattgefunden hat), wird so unsentimental, zugleich aber so unfassbar herzzerreißend geschildert, dass ich emotional einfach mitgerissen wurde.

Ihr wisst ja, dass ich wirklich nicht nah am Wasser gebaut bin und Filme mich im Normalfall nicht zu Tränen rühren.
Maximal bekomme ich vielleicht mal feuchte Augen oder so. Aber eigentlich nicht mal das.
Dieser hat es geschafft und es sind einige Tränen bei mir im Laufe des Films geflossen.
Als ich dann aus dem Kino kam, war ich richtig fertig. Also nicht emotional fertig, sondern körperlich richtig geschafft, weil ich die zwei Stunden über so angespannt war, da mich der Film einfach so gepackt hat.
Er endet übrigens, trotz der sehr schweren und ernsthaften Thematiken, am Ende auf einer überraschend versöhnlichen Note.
Aber das tut diesem größten Geheimtipp des Jahres definitiv keinen Abbruch, sondern bestätigt eigentlich nur die Eleganz mit der Autorin und Regisseurin Jeanne Herry die Stimmungen gekonnt zu wechseln versteht, ohne dass es holprig wirkt.
Ein nicht zu vergleichendes Erlebnis, bei dem ich wirklich dankbar bin, dass ich es im Kino, in einem dunklen Saal und auf der großen Leinwand erleben durfte.
Und ich hoffe sehr, dass der Film bei der kommenden César-Preisverleihung im Februar, die Anerkennung bekommt, die ihm gebührt.
Verdient hätte er es definitiv!


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Damien3
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Re: All eure Gesichter

Beitrag von Damien3 »

WOW danke für diesen Tipp!
Wäre garantiert an mir vorbeigegangen....
Ich liebe das französische Kino. Es gibt soviel was sie gut machen.


"Ich habe sie den ganzen Abend von dahinten beobachtet...sie sind ein sehr attrativer Mann"
"Warum gehen sie nicht in die Ecke zurück und schauen weiter?"
Kevin Costner..coole Sau.
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