Das Böse und die Dunkelheit - Ein Interessensgebiet

The Zone of Interest

Hier kann man sich über Filme unterhalten, die zur Zeit oder bald im Kino laufen oder auf Streaming-Plattformen veröffentlicht werden.

Moderator: Detlef P.

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Detlef P.
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Das Böse und die Dunkelheit - Ein Interessensgebiet

Beitrag von Detlef P. »

Als ich am Montag aus dem Kino kam, nachdem ich mir diesen Film angesehen hatte, ging ein Typ an mir vorbei, der ebenfalls im selben Film war und sagte: "Heftiger Film! Auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin."
Ein merkwürdiger Kommentar!
Mich hätte ja beinahe interessiert, womit er nicht einverstanden war.

Es handelt sich hier auf jeden Fall um einen der unangenehmsten Filme, die ich jemals gesehen habe.
Obwohl es an sich eigentlich keine grafische Gewalt gibt.
Aber das Gefühl und die Stimmung, die durch das Gesehene vermittelt werden, sind zum Teil von extremer Intensität.

Als Mensch deutscher Herkunft ist es vermutlich nochmal etwas anderes, diesen Film zu sehen.
Auch wenn man selbst - und in meinem Fall noch nicht mal die Großeltern oder Urgroßeltern - etwas damit zu tun hatten.
Trotzdem ist es irgendwie etwas anderes, wenn es vom eigenen Land ausging, was da passiert ist.

Am Montag musste ich die ganze Zeit darüber nachdenken, was ich über meine Vorfahren während dieser dunkelsten aller Jahre in Erfahrung gebracht hatte und ich war so froh und dankbar, dass sie nicht "dabei" waren.
Auch, wenn es eigentlich albern ist.
Irgendwie ist es mir aber lieber, nicht mit solchen Personen verwandt sein zu müssen und mir tun die Menschen von Herzen leid, die Mitläufer, Überzeugte oder gar Leute aus der ersten Garde in der Familie haben oder hatten, obwohl sie selbst beim Gedanken an diese Ideologie Brechreiz bekommen.

Zugleich musste ich daran denken, wie ich als kleines Kind erfuhr, dass dieser Hitler, von dem man schon so viel gehört hatte, all seine furchtbaren Taten im eigenen Land fabriziert hatte.
Ich wusste in etwa, wer er war und auch in etwa, was er getan hatte, aber ich hatte immer angenommen, dass das irgendwo anders passiert war, was ja schlimm genug war.
Und ich kann mich noch genau an die Traurigkeit erinnern, die ich verspürte, als ich realisierte, dass all das in Deutschland passiert war.
In dem Land, in dem ich geboren und aufgewachsen war und in dem ich mich immer sicher gefühlt hatte.
Zwar hatte ich keine Angst davor, dass es noch einmal passieren würde, denn wir waren jetzt ja alle schlauer und aufgeklärter (so dachte man jedenfalls).
Dennoch war es eine einschneidene Erfahrung in jungen Jahren für mich.

Dieses Gefühl des Entsetzens, der Fassungslosigkeit, Hilflosigkeit und Traurigkeit überkam mich dann auch während meines Kinobesuchs.
Denn hier wird man wirklich vollkommen allein gelassen mit dem Schlechten, Perversen und abgrundtief Bösen der menschlichen Seele.
Es wird ausschließlich die Geschichte von Rudolf Höss und seiner Familie erzählt, die direkt neben dem Konzentrationslager in Auschwitz gelebt haben, da Höss der Leiter des Lagers war.

Das Interessante dabei: Wir sehen das Lager niemals von innen. Nicht ein einziges Mal!
Und trotzdem ist es allgegenwärtig!
Entweder durch die immerwährende Geräuschkulisse oder durch die Präsenz hinter der Gartenmauer des Hauses.

Dadurch, dass es in diesem Sinne keine Protagonisten, sondern im Prinzip nur Antagonisten gibt, ist man quasi gezwungen, sich mit den Taten dieser Menschen auseinander zu setzen.
Und es gibt nichts und niemanden, der, die oder das irgendetwas "gerade rückt" oder "im Kontext einordnet".
Man ist mit seinen Gedanken und Gefühlen vollkommen allein.
In manchen Momenten wirkt die Familie tatsächlich fast wie eine normale Familie, nur um dann wieder - manchmal subtil und manchmal extrem direkt - zu zeigen, dass sie ganz und gar nicht der Norm entsprechen und man eigentlich gar nicht in Worte fassen kann, wie viel Verachtung, Wut und Traurigkeit man für diese Menschen und ihre Taten übrig hat.

Regisseur Jonathan Glazer hat tatsächlich während der Vorbereitungen auf den Film daran gedacht, diesen abzubrechen, weil je tiefer er in die Materie eintauchte, er auf umso mehr Dunkelheit stieß.
Und exakt so fühlt sich auch alles an diesem an.
Glazer hat die Kameraperspektiven und die Bilder so natürlich gehalten, wie es nur möglich war, damit sich alles sehr unglamourös anfühlt.
Das ist ihm auf jeden Fall gelungen.

Christian Friedel und Sandra Hüller spielen die beiden seelisch und menschlich verkümmerten Bestien perfekt als Mischung aus Ehepaar mit alltäglichen Problemen und den schlimmsten Verbrechern der Menschheitsgeschichte, die sie ja bekanntlich auch waren.

Abschließend möchte ich noch etwas zu dem für mich wirklich überragenden Ende des Films sagen.
Daher gilt ab hier eine Spoilerwarnung!

SPOILER - Weiterlesen auf eigene Gefahr

Der Film endet damit, dass Höss die sogar nach ihm benannte Operation übernimmt, die zur noch größeren Ausrottung der osteuropäischen Juden führen sollte, als es bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Film spielt, nicht ohnehin schon der Fall gewesen wäre.

Als Höss eines Abends durch das mittlerweile leere Gebäude, das an ein ganz gewöhnliches Amtsgebäude erinnert, die Treppen heruntergeht, überkommt ihn plötzlich ein Würgereiz.
Warum er diesen bekommt, bleibt offen, aber es wird leicht impliziert, dass er sich selbst für einen kurzen Moment bewusst wird, was er da eigentlich plant und tut, bevor er den Gedanken wieder beiseite schiebt.

Dann wird in die heutige Zeit übergeblendet und wir sehen die Gedenkstätte und das Museum Auschwitz, welches gerade aufgeschlossen und für Besucher vorbereitet wird.
Reinigungskräfte säubern und putzen die Gedenkstätte. Es scheint für sie Routine zu sein. Schließlich machen sie es jeden Tag.

Dann eine letzte Blende zurück zu Höss in das leere Gebäude. Er geht die Treppen weiter herunter.
Abspann... und dazu diese Musik:



Zuerst finde ich es wert anzumerken, dass die Gegenüberstellung von Höss und den Reinigungskräften der heutigen Zeit fast provokant erscheint.
Beide verrichten ihre Arbeit routiniert. Selbstredend durch einen langen Zeitraum getrennt und auf verschiedenen Seiten stehend.
Trotzdem gewagt!

Den zweiten Aspekt fand ich aber viel genialer.
Denn ich muss sagen, dass ich die ganze Laufzeit über total angespannt war. Und als die Blende in die aktuelle Zeit kam, fühlte ich, wie ich in mir Erleichterung breit machte.
Weil man diese dunklen und schlimmen Zeiten endlich verlassen hatte und in der heutigen, aufgeklärten Zeit angekommen war, wo man offen über die Gräueltaten von Höss und aller, die mit dieser perfiden Mordmaschinerie zu tun hatten, reden konnte, an sie erinnern konnte und man es besser wusste.

Exakt deswegen fühlte sich der Sprung zurück wie ein schlimmer Schlag in die Magengrube an.
Besonders in Verbindung mit der Musik, die dann im Abspann zu hören war und die ich als die dann noch folgenden Jahre in Auschwitz im akustischen Schnelldurchlauf interpretieren würde.
Mit allen Geräuschen des Lagers, den Schreien, dem Weinen, dem Wehklagen, aber auch den schlagenden Spitzhacken, den knallenden Gefängnistüren und den laufenden Brennöfen auf wenige Minuten komprimiert.

Und so werden wir aus dem Film entlassen.
Nicht in eine bessere Welt, in der wir aufgeklärter und weiser erscheinen.
Sondern in eine Welt, wie man sie sich schlimmer kaum vorstellen könnte und von der man nur intensiv hoffen kann, dass sich so etwas niemals und in tausenden von Jahren nicht wiederholen wird.

Momentan sieht es sehr danach aus, als wenn dieses intensive und zutiefst unangenehme, zugleich jedoch fesselnde und vor allem wichtige Werk in diesem Jahr den Oscar als bester Fremdsprachenfilm bekommen wird.
Und ich könnte nichts mehr bejahen.
Denn es ist trotz allem oder eigentlich gerade deswegen ein bemerkenswertes Stück Kino, das seinesgleichen sucht.


"Willst Du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten." (chin. Sprichwort)

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Re: Das Böse und die Dunkelheit - Ein Interessensgebiet

Beitrag von Damien3 »

Der Film heißt „The Zone of interest“ oder?
Was hat die Hüller für eine Serie was???
Unglaublich


"Ich habe sie den ganzen Abend von dahinten beobachtet...sie sind ein sehr attrativer Mann"
"Warum gehen sie nicht in die Ecke zurück und schauen weiter?"
Kevin Costner..coole Sau.
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