-amtliche Wetterwarnung vor Spoiler-Overkill für den Bereich Underground:
Ich möchte denjenigen, die den Film noch nicht gesehen haben, dies aber noch vorhaben sollten, ganz dringen davon abraten, sich diese Kritik durchzulesen.-
Magnolia
"Ich möchte glauben, dass es sich bei all dem um einen Zufall handelt, aber ich kann es nicht. Solche merkwürdige Dinge passieren andauernd..."
Ich möchte heute einen Film vorstellen, den ich mir sehr oft angesehen habe und der einen bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen hat. Es ist unbeschreibbar, wieviele Gedanken meinerseits an diesem Film haften und deswegen werde ich mir auch die (hoffentlich angemessene) Mühe geben, diese Kritik zu schreiben.
Dies hat mich tatsächlich einiger Zeit beraubt, denn es ist sehr schwirerig, in diesem Fall die richtigen Worte zu formulieren.
Man könnte diesen unfassbaren Film als einen der wegweisendsten und inhaltsreichsten Episodenfilme überhaupt bezeichnen. Trotz seiner epischen Länge von drei Stunden ist er von absolut fesselnder Gewalt, der sich normalerweise niemand entziehen dürfen könnte.
Ich möchte in dieser Kritik einige Gedanken vortragen, die mir in Zusammenhang mit diesem Film gekommen sind, und die mich immer mal wieder sehr beschäftigen.
Zu diesem Zwecke möchte ich zunächst mit einer Inhaltsangabe beginnen, um dem Leser die Handlungsabläufe zu vergegenwärtigen.
Inhalt:
Wie soll man eine solch komplexe Handlung zusammenfassen? Ich versuche es kurz und schmerzlos:
Ein vereinsamter Polizist versucht, mit seinem Leben klarzukommen. Im Dienst verliebt er sich in eine drogenabhängige Arbeitslose, der er zu helfen versucht.
Ihr Vater, ein Quizmaster ist todkrank und versucht verzweifelt sine Beziehungen zu Tochter und Ehefrau zu bessern, und muss nebenbei seine Show leiten, in der das Quizkind nicht zur Toilette gelassen wird und deshalb für Spannungen sorgt.
Donnie Smith, das frühere Quizkind ist mittlerweile arbeitslos und kämpft mit schweren existenziellen Problemen, nicht zuletzt jedoch auch seinem eigenen Verstand.
Frank Mackey propagiert die Zähmung der Fotze. Er versucht aus kommerziellen Gründen, andere Gescheiterte von seiner Weltanschauung zu überzeugen, wird jedoch von einer Journalistin und zuletzt seinem eigenen todkranken Vater in den Wahnsinn getrieben.
Der Vater wird einerseits durch eine treue fremdfickende Ehefrau, andererseits durch einen Pfleger versorgt, die jedes Hindernis auf sich nehmen, um jenem zu helfen...
Bevor ich auf die Frösche zu sprechen komme, möchte ich die außerordentliche Qualität dieses Filmes hervorheben.
Nun, man kann sagen, dass Julianne Moore eine absolut grandiose Vorstellung liefert, die kaum ein andere Schauspielerin hätte liefern können. Diese Emotionalität in ihrer Rolle ist einfach unnachahmbar und genial, was sie gerade in der Apothekenszene ganz wunderbar demonstriert.
Philipp Seymour Hoffmann sei des weiteren hervorgehoben. Als sensibler Helfer, der im Gegensatz zu den meisten anderen Akteuren keine psychotischen Anfälle darbietet, glänzt er als ruhender Pol, immer ein wenig jenseits des Geschehens, aber absolut überzeugend (solche Rollen sind normalerweise auf Morgan Freeman zugeschrieben).
Tom Cruise, endlich mal wieder in einem vernünftigen Film zu bestaunen, kann man hier ebenfalls nur Lob aussprechen. Als selbsternannter "Verführer und Vernichter" kommt er unglaublich überzeugend daher, nur mit dem Unterschied, dass er für eine andere Sekte wirbt, als im richtigen Leben.
Zu guter Letzt habe ich mir Jason Robards aufgehoben. Er ist ganz einfach ein krass unterschätzer, nie wirklich gewürdigter Dinosaurier der Filmgeschichte. Er ist einfach kosmisch und kollossal in seiner Darbietung, man kann es nicht anders beschreiben.
Die Musik (Aimee Mann) ist wirklich ausgezeichnet ausgesucht worden und passt perfekt zu diesem Film, ist definitiv mitverantwortlich für diese gewaltige Atmosphäre, die hier erzeugt wird. Würde etwas anderes gespielt werden, das muss ich ganz ehrlich sagen, wäre dieser Film nicht mehr derselbe.
Insgesamt kann man sagen, dass dieser Film qualitativ definitiv herrausragend und in dieser Hinsicht einer der absolut besten der letzten Jahre ist.
Den Schwerpunkt meiner Kritik soll jedoch die inhaltliche Interpretation bilden, die nun erfolgen wird.
"Es steht geschrieben: Wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen, aber die Vergangenheit nicht mit uns"
Es ist schwierig, diesen Film als Ganzes zu verstehen. Die Handlungszusammenhänge spielen dabei meiner Meinung nach eine weitaus geringere Rolle, als die kulturbezogen universal anwendbaren Verhaltens- und Handlungsmuster menschlicher Kommunikation, mit denen dieser Film immer wieder zu spielen beabsichtigt.
Dem Zuschauer wird mit radikal ausgelegten Situationen aufgezeigt, inwiefern diese Kommunikation dazu instrumentalisiert werden kann und in bestimmten Momenten absolut vorhersehbar wird, aber, und das ist auch etwas absolut menschliches, in der Lage ist, von anderen bestimmte Verhaltensmuster abzuverlangen oder auch aufzuoktroyieren.
Man bedenke nur die Vielzahl an kontrovers-emotionalen Unterhaltungen, die in diesem Film geführt werden, die dann in den entsprechenden Fällen auch dementsprechend eskalieren, gerade aufgrund der Unwissenheit der Menschen, mit ihren eigenen Emotionen klarzukommen, bzw. der Unwissenheit auf die Emotionen anderer angemessen reagieren zu können. Dieser Film spielt förmlich mit solchen Situationen und erzeugt, gerade auch aufgrund Dessen, immer wieder ein für den Zuschauer negatives, deprimierendes Klima: und das trifft (mal wieder meiner bescheidenen Meinung nach) auch gerade einen der Zwecke dieses Filmes.
Jason Robards Monolog zum Thema Reue bietet in gewisser Weise eine Schlüsselszene dieses Filmes, denn alle beteiligten Hauptcharaktere tragen das Joch des schlechten Gewissens, bzw. des Bereuens ihrer Taten mit sich. In der Intermission wird dies ziemlich gut veranschaulicht.
Nun stellt sich eine für mich nebenbei sehr wichtige Frage: Welche Rolle spielen Drogen in dieser Geschichte?
Wir haben eine Dame, die sich auf Grund ihrer gescheiterten Existenz mit Kokain zudröhnt, einen Ex-Promi, der dem Alkoholismus verfallen ist, einen Quizmaster und dessen Ehefrau, auf die diese Probleme ebenfalls zutreffen, einen Todkranken, der durch flüssiges Morphium ernährt wird und letztendlich seine Ehefrau, die ebenfalls durch Schmerzmittel einen Ausweg zu finden versucht.
"Ich verwechsele Melancholie gelegentlich mal mit Depression"
Inwiefen wirken nun diese Drogen auf die Kommunikation zwischen diesen Personen ein? Man würde nicht leugnen können, dass diese Faktoren einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Handlung haben (an dieser Stelle sei bemerkt, dass selbst Religionen als Drogen verstanden werden können!).
Nun, man könnte meinen, Drogen jeder Art könnten als Katalysatoren dienen. Sie helfen bei der Aufklärung einiger wesentlicher Dinge, sie tun ihr Übriges zur Bereinigung gewisser Situationen. In diesem Sinne zeigt der Film den wesentlichen Einfluss von Drogen jeder Art auf die menschliche Kommunikation auf, bzw. inwiefern sie diese zu beeinflussen imstande sind.
Menschen vermitteln Informationen, die sie sonst nicht vermitteln würden, und dies kann einen ganz wesentlichen (oft negativen) nachhaltigen Prägungsfaktor auf etwaige Beziehungen, und nicht zuletzt den anarchischen, unsteuerbaren Gesamtzusammenhang (!) haben.
Nun kommen wir auf den Froschregen zu sprechen.
Ich gehe einfach mal davon aus, dass es weder in der Bibel, noch im Koran oder sonstigen religiösen Weltanschauungssammlungen etwas derartiges gibt (korrigiert mich bitte, sollte es anders sein). Deshalb sollte man jegliche religiöse Assoziation außen vor lassen. Religionen werden eh überschätzt. Sie können dienen, um Menschen Halt zu geben und sie in falscher Sicherheit zu wiegen. Erklären können sie jedoch rein gar nichts, und gerade das ist ein wesentlicher Fehler, der einem bei der Interpretation des Folgenden auf gar keinen Fall unterlaufen sollte. Scheiss auf die Religion! Sie bringt uns nicht weiter. Also:
Es regnet Frösche!!!
Ein außergewöhnliches Naturerlebnis, dass den Menschen, bzw. Tieren etwas vorführen soll. Die Menschen, bzw. Tiere (ich werde im weiteren Verlauf vereinheitlichend sprechen) verstehen es jedoch nicht. Sie fragen sich in erster Linie nur, wie sie reagieren können. Sie flüchten hauptsächlich, ihr eigenes Überleben zu sichern suchend, einige Wenige (der Polizist) versuchen dabei, Anderen zu helfen. Man könnte es einerseits als Feuertaufe, als eine Bestandsprobe für jeden Einzelnen betrachten.
Oder auch als Suizidskatalysator, ein unvorhergesehenes Störelement im technischen (Chaos-)Ablauf, eine panikverursachende Katastrophe.
Im positiven Sinne kann man sagen, dass diese "Katastrophe" bewerkstelligt hat, dass die (emotionalen) Theaterszenarien der einzelnen Charaktere für einen kurzen Moment, auf Grund der aktuellen Brisanz, etwas Wichtigerem geopfert werden mussten und eine gewisse kurzweilige Harmonie eingeläutet haben.
Ich möchte diesen Punkt festhalten und etwas ausführlicher beleuchten:
"...und ich möchte mich bemühen zu glauben, dass es sich bei all dem nur um einen Zufall handelt..."
Ich werde nun versuchen, ich denke dies ist ein schwieriges Unterfangen, aber immerhin einen Versuch wert, diesen Aspekt auf unsere Gesellschaft zu übertragen, ohne ihn damit vollkommen fehlzuinterpretieren.
Man wird wohl, niemand wird dies ernsthaft bezweifeln können, mit Fug und Recht behaupten dürfen, dass sich der Einzelne (im Allgemeinen) nie wirklich zufrieden fühlt, obgleich es etwa 90 Prozent der Weltbevölkerung wesentlich schlechter geht, als ihm selber. Das Streben des Menschen nach ständiger Perfektion durchdringt alle Grenzen, und so ist es zu verstehen, dass dem Menschen der aktuelle Zustand nie zusagen wird. Der Mensch leidet, denn ohne Leiden würde er nie im Stande sein, Glück zu erfahren. Man könnte dies als einen natürlichen selbtsaufoktroyierten Zustand verstehen.
Dies ist also ein ganz natürlicher, nicht abwendbarer Zustand, dessen Existenz ganz einfach so akzeptiert und mit einberechnet werden muss.
Daraus ergibt sich, bezogen auf soziale Beziehungen jeder Art jedoch folgendes Problem: Niemand wird sich letztendlich vollständig (wie eine Magnolie) entfalten können, ohne andere an ihrer Entfaltung zu hindern.
Der negativ altruistische (oder ist er ganz einfach nur egoistisch?) Mensch wird sich in der Regel stets um die Verwirklichung seiner eigenen Ziele kümmern, es sei denn ihm wird durch ein bestimmtes Ereignis das unfassbare Elend seiner sozialen Umgebung ganz drastisch vor Augen geführt.
Damit wären wir wieder bei der Chaostheorie, die am Anfang des Filmes ja mehrmals betont wird. Wie kann man handeln, ohne Einfluss auf Andere auszuüben? Antwort: Überhaupt nicht, und gerade dies beweist dieser Film eindrucksvoll. Der Froschregen stellt nur die Ultima Ratio dar, eine Art Regulierungsversuch. Die einzelnen Hauptcharktere treiben sich gegenseitig durch ihre Handlungen ins Verderben, bis der Froschregen sie dazu nötigt, miteinander zu kooperieren.
Menschen streben nach sozialer Bindung, um Halt zu erfahren. Sie gehen fremd, da ihre Partner ihnen nicht das geben, was sie wollen. Sie leugnen ihre Vergangenheit, um sich eine aussichtsreichere Zukunft zu ermöglichen. Sie nehmen Drogen, um ihren eigenen Zustand erträglicher zu machen. Jedoch übersehen sie oft auch das Netz, dass durch ihre Handlungen zwischen ihnen und ihren Mitmenschen gespannt ist. Sie nehmen aus Egoismus zuwenig Rücksicht auf die Zustände ihrer Mitmenschen und sorgen somit immer wieder für Spannungen innerhalb dieser Systeme.
Stelle man sich nun ein einschlägiges Ereignis vor, das alles verändert:
ein plötzlicher Weltkrieg, eine Pestwelle, eine Revolution, die Invasion von Außerirdischen...oder eben einen Froschregen!
Menschen stellen ihre eigenen Interessen in den Hintergrund und helfen ihren Mitmenschen, um eine größere Chance zu besitzen, solche Situationen zu bewältigen. Manche würden dies aus religiösen oder ethischen Gründen tun (der Polizist), andere aus rationalen (kurzfristige Kostenmaximierung statt -minimierung zur langfristigen Nutzenmaximierung). Diesen Punkt zeigt der Froschregen ganz drastisch auf.
Die Menschen vergessen plötzlich, dass sie kurz zuvor versetzt wurden, ein schlechtes Verhältnis zu ihren Familienangehörigen hatten, ihren Job verloren hatten, sie beschäftigen sich nun mit einem anderen Problem, welches sie wiederum in gewisser Weise zusammenführt:
"Manchmal muss man Menschen ein wenig helfen, manchmal muss man ihnen verzeihen, und manchmal muss man sie ins Gefängnis stecken. Und das ist für mich das allerschwierigste... diese Entscheidung zu treffen..."
Darin sehe ich persönlich eine wesentliche Kernaussage dieses Filmes.
Ich wollte an dieser Stelle keineswegs dem rund 500 Jahre älteren "Leviathan" Konkurrenz machen.

Man könnte diesen Film, sei man eher negativ ingestellt, auch als Verhöhnung menschlicher Kommunikations-, bzw. Verhaltensmuster verstehen, die immer wieder auf die Spitze getrieben und somit in gewisser Weise vorgeführt werden. Im Wesentlichen geht es aber, meiner bescheidenen Meinung nach, um das Zusammenspiel dieser Muster mit dem Chaos, und wie sich dieses Zusammenspiel auswirken, bzw, eskalieren, bzw. manipuliert werden kann.
Ginge man davon aus, dass dies die wirkliche Intention dieses Films sei, müsste man sagen: Respekt! Sie haben uns vorgeführt, wozu wir imstande sind und wie leichtfertig wir unser Potenzial verspielen, und das sogar auf eine sehr interessante Art und Weise.
Ich persönlich habe mich in diesen 3 Stunden, die ich immer und immer wieder geopfert habe, wirklich nie gelangweilt.
Und es werden noch einige Stunden auf mich warten, bis ich diesen Film wirklich endgültig verstanden habe. Dennoch werde ich meinen Spaß daran haben.
Ich ziehe meinen Hut vor dieser grandiosen Leistung die Mr. Anderson und auch alle anderen Beteiligten hier vollbracht haben.
Im übrigen möchte ich mich an dieser Stelle bei all jenen bedanken, die tatsächlich Durchhaltevermögen bewiesen haben und immer noch mitlesen.

So verbleibe ich untertänigst grüßend!
Fazit: Wer diesen Film nicht kennt, hat einiges verpasst. Ein Stück Filmgeschichte, da unweigerlich einer der wichtigsten und aussagekräftigsten Episodenfilme überhaupt. Bitte, bitte, seht ihn euch an und tut mir gegebenenfalls den Gefallen, mich wegen dieser Kritik anzufeinden!
9/10